Bedeu­tung — was ist das, woher kommt sie und was bedeu­tet über­haupt etwas?

Per Defi­ni­ti­on basiert die indi­vi­du­el­le Auf­fas­sung von „Bedeu­tung“ auf gewis­sen Wert­vor­stel­lun­gen, sei­en sie nun reli­giö­ser oder gesell­schaft­li­cher Natur, auf Erzie­hung, Erfah­run­gen und letzt­lich auf emo­tio­na­len Bin­dun­gen, die jeder von uns ver­schie­den­ar­tig auf­baut und pflegt.

Dem­entspre­chend schwie­rig gestal­tet es sich, der Fra­ge „Was bedeu­tet Bedeu­tung?“ eine all­ge­mein­gül­ti­ge Ant­wort zuzuweisen.

Der Ver­such des­sen zeig­te sich am 17. und 18. Juli auf der come­nia­ni­schen Thea­ter­büh­ne — insze­niert vom Mit­tel­stu­fen­thea­ter unter der Lei­tung von OSt­Rin Patri­zia Gill­ner und StRe­fin Ramo­na Kropf.

Gespielt wur­de „Nichts“ — wort­wört­lich. Jeden­falls ist das der Titel des im Jah­re 2000 erschie­ne­nen — und 2010 ins Deut­sche über­setz­ten — Romans der däni­schen Autorin Jan­ne Tel­ler, wel­chen die Come­nia­ner gemein­sam mit ihren Leh­re­rin­nen büh­nen­reif machten.

„Nichts bedeu­tet irgend­et­was! Das weiß ich schon seit lan­gem. Des­we­gen lohnt es sich nicht, irgend­et­was zu tun!“ — so lau­tet der ers­te Satz, den der Zuschau­er hört; von den Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­lern kanon­ar­tig und über den Zuschau­er­raum ver­teilt vorgetragen.

Und so schwer ein­zu­ord­nen die­ser Ein­stieg zu Beginn ist, umso all­täg­li­cher wird die Geschich­te fürs Ers­te fort­ge­führt: Eine Schul­klas­se kehrt nach den Som­mer­fe­ri­en mit der typi­schen Moti­va­ti­ons­lo­sig­keit in den schu­li­schen All­tags­trott zurück. Bespro­chen wer­den Bana­li­tä­ten. Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten. Wie die Feri­en gewe­sen sind. Wie der neue Leh­rer wohl sein mag.

Die­ser eröff­net mit gespiel­ter Ambi­ti­on die Stun­de und sogleich eine wei­te­re Etap­pe der mora­li­schen For­mung: Weis­hei­ten wie „Wer nicht kommt zur rech­ten Zeit, der muss neh­men, was übrig bleibt“, wel­che von den Schü­lern ton­los nach­ge­spro­chen wer­den, prä­gen das Unterrichtsbild.

Gestal­te­risch inter­es­sant ein­ge­setzt wur­de hier ein knall­ro­ter Trich­ter, durch den der Leh­rer ein­zel­nen Schü­lern sei­ne Tugen­den  „ein­trich­tert“ — sei­ne Aus­sa­gen zie­hen sich die Schü­ler brech­reiz­ar­tig, auf Bän­dern geschrie­ben aus den Mün­dern. Eine ganz beson­ders ein­drucks­vol­le Sze­ne, die zeigt, wie Gesell­schaft und Schu­le als dik­ta­tur­glei­che Instanz einen Wer­te­kon­sens vor­zu­ge­ben ver­su­chen. In Zusam­men­ar­beit mit den ambi­tio­nier­ten Eltern, wel­che ihren Kin­dern sagen, aus ihnen sol­le etwas wer­den, wird den deut­lich über­for­der­ten, jedoch wehr­lo­sen Schü­lern bei­gebracht, was von Bedeu­tung ist.

Dass es aber genau die­se gar nicht gibt, hat sich einer der Schü­ler, der sich dem Zwang nicht beu­gen will, zum Man­tra genom­men: „Nichts bedeu­tet irgend­et­was! Das weiß ich schon seit lan­gem. Des­we­gen lohnt es sich nicht, irgend­et­was zu tun!“ ver­kün­det er und ver­lässt damit den Unterricht.

Sei­ne nihi­lis­ti­schen Aus­sa­gen trei­ben sei­ne gesell­schaft­lich vor­ge­form­ten Mit­schü­ler auf die Pal­me — und ihn selbst auf den Pflau­men­baum. Aus ver­meint­lich siche­rer Posi­ti­on im Geäst ver­sucht Pierre-Anton, sei­ne Mit­schü­ler zur Bedeu­tungs­lo­sig­keit zu bekeh­ren. Was die­se jedoch nur mehr gegen ihn auf­bringt. Nach­dem der Plan, ihn mit Stei­nen zu bewer­fen und ihn so zu ver­trei­ben, schei­tert, kom­men die Jugend­li­chen nach fie­ber­haf­tem Über­le­gen zu der Erkennt­nis, dass man Pierre-Anton ein­fach nur Din­ge zei­gen müs­se, die Bedeu­tung haben, um ihn von sei­nen Ansich­ten abzu­brin­gen. Ein „Berg der Bedeu­tung“ soll ihm zei­gen, dass er mit sei­nem Nihi­lis­mus falsch liegt.

Es beginnt also mit ver­gleichs­wei­se klei­nen, jedoch trotz­dem unfrei­wil­li­gen Opfer­ga­ben an das Pro­jekt :So muss sich die künst­le­risch begab­te Michel­le von einem Stift ver­ab­schie­den, der das Geschenk einer Freun­din gewe­sen ist. Aus Rache ver­langt die­se vom musik­be­geis­ter­ten Maxi, sei­nen MP3-Play­er zu opfern — und bereits hier wan­delt sich der ver­zwei­fel­te Ver­such, Pierre-Anton zu über­zeu­gen, zu einem emo­tio­nal gesteu­er­ten, immer kran­ker wer­den­den Spiel der Ver­gel­tung: Je schmerz­haf­ter das eige­ne Opfer emp­fun­den wur­de, des­to mehr wird beim Opfer des nächs­ten ver­langt, wobei man sich mit der Erklä­rung begnügt, dass ein beson­ders schmerz­haf­tes Opfer auch beson­ders bedeu­tend sei. Ein Tage­buch, das pri­va­tes­te Gedan­ken hegt; eine Flag­ge, die Iden­ti­tät und Tole­ranz reprä­sen­tiert,  ein von klein auf gelieb­ter Wel­len­sit­tich — vor kaum etwas machen die Schü­ler mehr Halt, um Bedeu­tung zu finden.

Den abso­lu­ten Gip­fel fin­det der Berg der Bedeu­tung in Johan­na, die unter Schrei­en ihre Unschuld opfern muss. Trau­ma­ti­siert und gna­den­los ver­langt die­se nun, dass Gei­gen­spie­le­rin Anna ihren klei­nen Fin­ger abgibt — ein Tri­but, wel­ches die Grup­pe sogleich einfordert.

Die Eska­la­ti­on endet somit mit einem Kran­ken­wa­gen, der Poli­zei, Eltern­pre­dig­ten, Erzie­hungs­maß­nah­men der Schu­le — und einem ver­gleichs­lo­sen Medi­en­rum­mel. Der Berg der Bedeu­tung wird als Kunst gefei­ert, Jour­na­lis­ten befra­gen die Jugend­li­chen zu ihrem ver­meint­lich ehren­haf­ten Pro­jekt. Schließ­lich kauft ein Muse­um den Schü­lern den Berg für eine gewal­ti­ge Sum­me ab. In Eksta­se und hel­ler Begeis­te­rung zele­brie­ren die­se den Erfolg ihrer Akti­on — und sind sich sicher: Spä­tes­tens jetzt kann Pierre-Anton nichts mehr einwenden.

Jedoch macht Ihnen die­ser einen Strich durch die Rech­nung: „Hät­te der Berg so viel Bedeu­tung gehabt, dann hät­tet ihr ihn doch gar nicht verkauft!“

Und somit ste­hen die rat­lo­sen Schü­ler wie­der am Anfang. So vie­le Opfer haben sie gebracht, und doch plagt sie jetzt wie­der die Fra­ge, was über­haupt Bedeu­tung hat. Jedoch kann Pierre-Anton doch nicht tri­um­phie­ren: Denn mit der letzt­end­li­chen Sinn­lo­sig­keit der Bedeu­tungs­su­che geht die Erkennt­nis ein­her, dass sich „Bedeu­tung“ gar nicht mate­ri­ell mes­sen las­sen kann. Dass die Gegen­stän­de, die gesam­melt wur­den, doch auch nur eine Bedeu­tung haben, weil hin­ter ihnen ein imma­te­ri­el­ler Wert steht — die Lie­be zu einem Fami­li­en­mit­glied, das Ver­trau­en in die Sei­ten eines Buches, die eige­ne Iden­ti­tät. Und so hat man Pierre-Anton am Ende doch irgend­wie bezwun­gen, der, so die bei­den Regis­seu­rin­nen, viel weni­ger eine reel­le Per­son, als viel­mehr die Stim­me in jedem von uns ist, die uns dazu zwingt, unse­re eige­ne Bedeu­tung zu suchen — und sie in den Wer­ten zu fin­den, die die Schü­le­rin­nen und Schü­ler zum Ende des Stücks als leuch­ten­de Bal­lons in die Höhe stei­gen las­sen — Lie­be. Zunei­gung. Ver­trau­en. Hoff­nung. Leben.

„Das Leben bedeu­tet etwas, das habe ich gelernt.“ — so endet die Geschich­te. Und zeigt ganz klar: Das Leben hat einen Wert, und Bedeu­tung steckt in allen Ecken. Man muss sie nur fin­den — und das ganz sicher nicht in einer Defi­ni­ti­on, den Weis­hei­ten eines Leh­rers, in den Wün­schen der Eltern oder auf dem Berg der Bedeu­tung, der in irgend­ei­nem Kunst­mu­se­um vor sich hin gam­melt — son­dern ganz ein­fach in uns selbst.

Ales­san­dra Aue

Die Come­nia­ner mach­ten sich Gedan­ken dar­über, was im Leben eine Bedeu­tung hat.