Im Rah­men einer öffent­li­chen Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung rück­te das Kom­pe­tenz­zen­trum für Begab­ten­för­de­rung am Come­ni­us-Gym­na­si­um das The­ma Autis­mus in den Mit­tel­punkt. Nach der Begrü­ßung durch Herrn OStD Mar­kus Höß berich­tet Frau Ber­Rin Sibyl­le Spor­kert vom Mobi­len Son­der­päd­ago­gi­schen Dienst (MSD) in ihrem Fach­vor­trag über die ver­schie­de­nen For­men von Autis­mus, die unter dem Begriff Autis­mus-Spek­trum-Stö­rung zusam­men­ge­fasst wer­den kön­nen. Dabei nennt die Refe­ren­tin inter­es­san­te Zah­len und Fak­ten zu die­ser unheil­ba­ren Erkran­kung des Zen­tral­ner­ven­sys­tems, was vor allem durch Defi­zi­te in der Empa­thie­fä­hig­keit Aus­wir­kun­gen auf die sozia­le Kom­mu­ni­ka­ti­on und Inter­ak­ti­on des Betrof­fe­nen hat.

Haupt­ak­teur des Abends ist im Anschluss jedoch Herr Juli­an Les­ke, ein 26-jäh­ri­ger Asper­ger-Autist, der in sei­nem auto­bio­gra­phi­schen Vor­trag Ein­bli­cke in sei­ne Erfah­run­gen und sei­ne Lebens­wirk­lich­keit gibt. „Leben mit Autis­mus — Ein auto­bio­gra­fi­scher All­tags­be­richt“ lau­tet die Über­schrift, die der erfri­schend selbst­be­wuss­te jun­ge Mann in Jeans und dun­kel­blau­em Sak­ko sei­nen fol­gen­den 90 Minu­ten gege­ben hat, in denen er sei­nen Zuhö­rern offen, ehr­lich und mit einer gewis­sen Pri­se Humor und Selbst­iro­nie schil­dert, wie sein Leben bis­her ver­lau­fen ist. Sei­ne Kind­heit ist zunächst geprägt von vie­len ver­schie­de­nen dif­fu­sen Dia­gno­sen. „Ich hat­te eini­ge kör­per­li­che Ein­schrän­kun­gen, zum Bei­spiel Gleich­ge­wichts­stö­run­gen, bin erst gelau­fen, nach­dem ich schon spre­chen konn­te, hat­te Schwie­rig­kei­ten beim Schnür­sen­kel­bin­den und habe auch mit 16 Jah­ren erst schwim­men gelernt“, erzählt Juli­an Leske.

Wei­ter­hin lässt er das Publi­kum auch mit sei­nen Augen betrach­ten, wie er die Welt wahr­nimmt, wel­che Situa­tio­nen für ihn Ent­span­nung bzw. Stress bedeu­ten. Ein­drucks­voll the­ma­ti­siert er die Anders­ar­tig­keit sei­ner Wahr­neh­mun­gen und erklärt, dass sein Gehirn alle Rei­ze aus der Umwelt in der glei­chen Inten­si­tät auf­nimmt und er nicht wie „nor­ma­le“ Men­schen über einen Fil­ter ver­fü­ge. Als beson­ders ent­span­nend emp­fin­det Juli­an Les­ke das Rei­sen mit der Bahn, die damit ver­bun­de­ne Gleich­för­mig­keit der Zug­fahrt, die er für sich noch zusätz­lich ange­nehm gestal­tet, indem er sich Hard­core Tech­no in die Ohren stöpselt.

Die­se und wei­te­re Aspek­te ver­an­schau­licht der auf­ge­schlos­se­ne und sym­pa­thi­sche Refe­rent anhand sei­ner eige­nen Ver­hal­tens­wei­sen und im Fol­gen­den v. a. durch sei­nen schu­li­schen Ent­wick­lungs­weg. Er berich­tet über sein Ver­hält­nis zu Leh­rern, den Kon­takt zu Mit­schü­lern, das Ver­hal­ten sei­ner eige­nen Mut­ter, die Wir­kung der Dia­gno­se „Asper­ger“ und letzt­lich auch die eige­ne Berufswahl.

Erst mit 18 Jah­ren habe er die Dia­gno­se bekom­men, Autist zu sein und am Asper­ger-Syn­drom zu lei­den, auch wenn sei­ne Eltern den Ver­dacht schon viel frü­her hat­ten. Sie haben ihm aber nichts davon erzählt, weil sie ihm kein Argu­ment dafür geben woll­ten, sich in der Schu­le nicht mehr anstren­gen zu müs­sen, nur weil er eine Dia­gno­se hat­te. „Und das war gut so“, bestä­tigt Juli­an Les­ke, „wenn ich es damals schon gewusst hät­te, hät­te ich in der Schu­le nichts mehr getan. So hat sich mei­ne Mut­ter durch­ge­setzt und ich habe die Haupt­schu­le sogar als Zweit­bes­ter abge­schlos­sen.“ Für ihn als Schü­ler sei es wich­tig gewe­sen, dass der Unter­richt sys­te­ma­tisch gestal­tet war. Im sprach­li­chen Bereich zeig­te er schon immer eine her­aus­ra­gen­de Bega­bung und galt als klei­ner Pro­fes­sor. Sei­ne über­ra­schen­den Sprach­bil­der, sein humor­voll poin­tier­ter Ton und die hohe Elo­quenz sor­gen bei den Zuhö­rern wäh­rend des gesam­ten Vor­trags immer wie­der für Erhei­te­rung. Mathe­ma­tik hin­ge­gen und der Umgang mit Zah­len berei­te­ten ihm aller­dings schon immer Schwie­rig­kei­ten, was mitt­ler­wei­le dadurch zu erklä­ren ist, dass ihm eine Dys­kal­ku­lie, eine soge­nann­te Rechen­schwä­che, attes­tiert wor­den ist.

Was ihm sei­ner Mei­nung nach an Empa­thie man­gelt, ver­sucht der Refe­rent durch sei­ne sprach­li­chen Fähig­kei­ten aus­zu­glei­chen. Die sozia­le Wahr­neh­mung feh­le ihm. Er sehe die Din­ge immer erst auf sach­li­cher Ebe­ne, die Emo­ti­on kom­me viel spä­ter. Als Bei­spiel schil­dert er die Situa­ti­on, als ihm sei­ne Mut­ter von dem schwe­ren Ver­kehrs­un­fall der Oma erzählt hat­te: „Ich habe als Ers­tes das Pro­blem gese­hen — wer kocht jetzt!?“ Das sei eine ur-autis­ti­sche Betrach­tungs­wei­se, das maxi­ma­le Ich. Heu­te kön­ne er der­ar­ti­ge Situa­tio­nen reflek­tier­ter betrachten.

Auch vor dem The­ma Lie­be und Part­ner­schaft macht Juli­an Les­ke in sei­nem Vor­trag nicht Halt, bezeich­net die roman­ti­sche zwi­schen­mensch­li­che Bezie­hung für ihn per­sön­lich als hoch­kom­plex und das obers­te Ziel sei­ner Ent­wick­lung. „Wenn ich wei­ter­hin genug an mir arbei­te, wer­de ich auch eines Tages eine tol­le Frau fin­den, die zu mir passt“, ant­wor­tet der 26- Jäh­ri­ge sou­ve­rän auf die Fra­ge, wel­che Rol­le für ihn Part­ner­schaft spie­le. Die­sen berüh­ren­den Wor­ten war schluss­end­lich nichts mehr hin­zu­zu­fü­gen, sodass die­ser kurz­wei­li­ge, authen­ti­sche und per­sön­li­che Erfah­rungs­be­richt von Juli­an Les­ke für das Publi­kum abso­lut gewinn­brin­gend war.

Juli­an Les­ke mit dem Kom­pe­tenz­team für Begab­ten­för­de­rung Niederbayern.

Juli­an Les­ke begeis­ter­te mit sei­nem Vortrag.