Die Flucht der Familie Müller aus der DDR: Ein Zeitzeugenbericht
Am 12.07.2024 erlebten die Schülerinnen und Schüler der 10. Jahrgangsstufe des Comenius-Gymnasiums Deggendorf einen bewegenden Zeitzeugenbericht. Dr. Helmut Müller, ehemaliger Oberarzt und Vorsitzender der Aktion Knochenmarkspende Deggendorf, schilderte seine Flucht aus der DDR im Jahr 1963. Dieser Vortrag, den Benjamin Eckart im Rahmen des P-Seminars Deutsch unter der Leitung von StDin Patrizia Gillner organisiert hatte, gab den Jugendlichen einen Einblick in die Geschichte der deutschen Teilung und die persönlichen Herausforderungen, die mit der Flucht aus der DDR verbunden waren.
Aufwachsen im Nachkriegs-Dresden
Dr. Müller begann seinen Bericht mit seiner Kindheit in Dresden. Er zeigte den Schülerinnen und Schülern Karten und Bilder, die die Zerstörung der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg eindrucksvoll dokumentierten. Dresden, eine große Stadt, lag in Trümmern. Die Müllers lebten jedoch in vergleichsweise komfortablen Verhältnissen, da der Vater eine erfolgreiche Zahnarztpraxis besaß.
Die Familie Müller zählte zu den Menschen, die nach dem Krieg in der DDR bleiben sollten. Dies erlaubte es dem älteren Bruder, direkt nach dem Abitur in Berlin Medizin zu studieren. Die Müllers wurden bewusst in der DDR gehalten, während viele wie sie nach Westdeutschland flohen.
Der Mauerbau: Ein Wendepunkt
Der 13. August 1961 markierte einen Wendepunkt im Leben der Familie Müller. Der Mauerbau trennte die Familie physisch und emotional. Er war ein klares Signal der Unterdrückung durch das DDR-Regime. Diese neue Realität machte den Müllers deutlich, dass sie in einem unfreien Land lebten, in dem sie ihren Träumen nicht nachgehen konnten.
In diesem Moment begannen die ersten Fluchtgedanken in der Familie aufzukommen. Das DDR-Regime machte ihnen deutlich, dass sie keine Zukunft in der DDR hatten. Der Vater erhielt die Nachricht, dass sein jüngster Sohn, Dr. Müller, kein Abitur machen durfte. Diese Entscheidung war für die Familie ein Zeichen; sie sah sich mit der Entscheidung konfrontiert, in einem Land zu leben, in dem die Grundrechte unterdrückt wurden, oder sich eine bessere Zukunft im Westen zu suchen.
Planung und Vorbereitung der Flucht
Die Familie Müller wog verschiedene Möglichkeiten ab: Eine Flucht über die deutsch-deutsche Grenze per Boot oder zu Fuß. Letztendlich fiel die Wahl auf die Flucht in den Westen durch einen 50 Meter langen Tunnel mit Hilfe der Familie Aagaard, die im Ost-Berliner Stadtteil Glienicke lebte. Die Aagaards hatten ein Haus nur 40 Meter von der Mauer entfernt.
Die Müllers planten ihre Flucht sehr genau, um den Grenzsoldaten jeden Verdacht zu nehmen. Helmut Müllers Bruder, der in Berlin studierte, begann mit den Aagaards einen Tunnel zu graben. Sie täuschten die Grenzsoldaten mit dem Bau einer Terrasse, um die Arbeiten zu verstecken. Jede Bewegung wurde sorgfältig geplant. Der Sand wurde innerhalb des Hauses geschickt versteckt, um die Aufmerksamkeit der Grenzsoldaten nicht zu erregen. Die Familie Aagaard erweiterte sogar ihren Friseursalon, um die Aufmerksamkeit der DDR-Behörden von ihren eigentlichen Absichten abzulenken.
Der Tunnel war 40×60 Zentimeter groß, nur so groß, dass sie sich durchquetschen konnten. Sie nahmen ihre nötigsten Sachen in einer Aktentasche mit, denn mehr war nicht möglich.
Die Flucht: Eine Nacht voller Spannung
In der Nacht vom 9. auf den 10. März 1963 setzten die Müllers ihren Plan in die Tat um. 13 Personen stiegen in den schmalen Tunnel. Sie gaben eine Party vor, damit die Nachbarn und die Grenzsoldaten nichts ahnten. Nach zwei Stunden in der engen Röhre, erreichten sie die Freiheit auf der anderen Seite der Mauer. Die Flucht war ein Erfolg!
Ein großes Aufgebot der Polizei erwartete die Flüchtenden im Westen. Sie wurden ins Not-Aufnahmelager Berlin-Marienfelde gebracht. Dr. Müller war dankbar für die Hilfsbereitschaft und die Höflichkeit der Polizisten. Sie ermöglichten ihnen einen neuen Anfang im Westen. Dr. Müller wurde später in Berlin-Marienfelde konfirmiert. Die Geschichte der Familie Müller ist ein Beweis für den Mut und die Entschlossenheit, die Menschen aufbringen können, um ein Leben in Freiheit zu erlangen.
Die Bedeutung des Zeitzeugenberichts
Dr. Müllers Zeitzeugenbericht hatte eine besondere Wirkung auf die Schülerinnen und Schüler. Die spannende Erzählung seiner persönlichen Erlebnisse gab ihnen einen direkten Zugang zur Geschichte der deutschen Teilung. Die Jugendlichen erkannten, welche Herausforderungen die Menschen in der DDR bewältigen mussten. Der Bericht erinnerte sie an die Bedeutung von Freiheit und Demokratie und an die Notwendigkeit, sich für diese Werte einzusetzen.
Das Foto zeigt Herrn Dr. Müller und Benjamin Eckart. Die BILD hat mit ihrer Schlagzeile wie so oft übertrieben: Es waren 13 und nicht 19 Personen, die durch den Tunnel geflüchtet sind.