„You have my permission to leave“ – ein Zitat der Grundschullehrerin Jane Elliot und einer der ersten Sätze, den Jürgen Schlicher – interkultureller Trainer bei Diversity Workshops – am Abend des 19.10. in der Mensa des Comenius-Gymnasiums zu seinem Publikum sagt. Gemeint ist damit, dass jeder der Anwesenden das Recht innehatte, den Vortrag zu verlassen, sollte er sich von Schlichers Aussagen angegriffen fühlen – denn nette Umschreibungen stehen nicht auf dem Plan: Das Thema – nämlich die „Anatomie des Rassismus“ – erlaubt keine Euphemismen.

Organisiert wurde der Vortrag vom Förderverein der Schule und der Antidiskriminierungsgruppe unter der Leitung von OStRin Patrizia Gillner im Rahmen der „Wiche der Begegnungen“. Dieses Projekt des Bundesprogramms „Demokratie leben“ – koordiniert von Ursula Keßler – steht für ein buntes, vielfältiges Miteinander ein. Eine Einstellung, welche auch den Vortrag des Abends klar dominiert.

Schon zu Beginn macht Jürgen Schlicher durch eine einfache Frage klar, wie sehr Vorurteile unsere Köpfe beherrschen: „Wie sehe ich für Sie aus?“. Antworten variieren von älterer Herr über Banker bis Professor, doch eines haben sie alle gemein: Sie gehen vom äußeren Erscheinungsbild aus; Sie bedienen sich bestimmter Klischees, die in unseren Köpfen festgenagelt sind und oft dazu führen, dass verschiedene Personen verschiedenen Umgangstönen ausgesetzt sind.

Schlicher möchte mit seiner Arbeit bei Diversity Workshops genau dieser „gesellschaftlichen Gewohnheit“ entgegenwirken. Im Rahmen von Workshops zum Thema Diskriminierung, von welchen er an diesem Abend erzählt, lässt er die Menschen sozusagen am eigenen Leibe spüren, wie sich Diskiminierung anfühlt und was sie aus einem Menschan macht. Hierzu verwendet er ein Schema, welches unsereins wohl zunächst etwas schwachsinnig erscheint: Er sortiert seine Teilnehmer nach Augenfarbe und setzt ausgehend davon ihren Wert fest. Während Braunäugige die Position an der „Spitze der Nahrungskette“ genießen, werden Blauäugige unterschätzt, verhöhnt, niedergemacht; gelten für diese paar Stunden als zu emotional und weniger intelligent. Sie stehen unter besonderer Beobachtung und einer steht für alle: Unter einem einzigen Fehler eines Blauäugigen leidet die ganze Truppe.

„Was glauben Sie: Wie reagieren Menschen auf solch eine Behandlung?“ – die Antwort fällt dem Publikum leicht: Wut, Aggression, Verzweiflung. Womit sich, so Schlicher, die Vorurteile doch bestätigen: Blauäugige sind zu emotional und somit weniger intelligent. Diskriminierung ist also ein Teufelskreis – aufgrund von Hautfarbe, Herkunft und Co. werden bestimmte Charaktereigenschaften zugewiesen, ohne dass da noch etwas anderes groß in Frage gestellt werden würde. Betroffenen kommt eine völlig andere Behandlung zu; Und beginnen sie, sich gegen diese Behandlung zu wehren, dann bestätigen sie ja jene Vorurteile, die erst zu einer Fehlbehandlung geführt haben. Eine Erläuterung, die nicht nur bei den Workshops, sondern nun auch in der Mensa für nachdenkliche Stille sorgt.

Als Basis für dieses fungierte ein Experiment, das Lehrerin Jane Elliot in den 60er Jahren mit ihrer Grundschulklasse durchführte und zu welchem das Publikum anschließend einen Film sah. Ebenso wie Schlicher heute teilte sie die Kinder damals in Braun- und Blauäugige ein, legte eine bestimmte Hierarchie fest und beobachtete, was Diskriminierung und Abwertung mit den Schülerinnen und Schülern anstellt: Verminderte Leistungsfähigkeit, Isolation, Traurigkeit. Ebenso zeigte es, wie entsetzlich leicht sich Vorurteile in den Köpfen festsetzen und zu dementsprechenden Handlungen führen.

Dass dies nicht nur bei Grundschülern funktioniert, zeigt sich nicht nur in Schlichers Workshops, sondern leider auch im Alltag. Warum ist einfach zu erklären: Wer nicht davon betroffen ist, hat nichts zu beklagen. Und wer betroffen ist, kann sich nicht wehren. Denn Vorurteile seien Instrumente der Macht, so der interkulturelle Trainer, und allesamt Teil einer inneren Landkarte, an der wir uns orientieren. Sie werden verinnerlicht und erweitert, bis man über ein gewaltiges System von Schubladen verfügt, in welches man jeden Menschen irgendwie einsortieren kann. Und wieder kommt das Grundproblem zur Sprache, welches Schlicher zu Beginn andeutete: Vorurteile haben eine Macht über unsere Köpfe inne, welcher wir uns zum Teil gar nicht bewusst sind.

Dass es nicht unbedingt so sein muss, zeigten bereits des Öfteren Teilnehmer der Workshops; die sich an der Ausgrenzung und Verspottung schlichtweg nicht beteiligen wollten.  Denn: „Diskriminierung funktioniert nur, wenn niemand etwas dagegen sagt“, so Schlicher.

Alessandra Aue

Jürgen Schlicher bei seinem Vortrag.